Der Roman «Im Surinam» des Basler Autors Nicolas Ryhiner ist eine literarisch geglückte historische Fiktion, die vom Aufstieg und Fall eines Basler Bürgers, Kolonialherren und Bigamisten erzählt. Es geht um zwei Leben in zwei ganz unterschiedlichen Welten und darum, wie einer in diesem Zwiespalt den Tod findet.
Ein Schuss – verspritztes Hirn und eine Leichenschau: Nicolas Ryhiners Roman beginnt mit einem knalligen Ende. Eine Ungeheuerlichkeit, ein Suizid eines Basler Ehrenmanns, dessen Doppelleben an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Mit seinem Selbstmord im entzieht er sich einem Gesichts- und Ehrverlust – einer Anklage wegen Bigamie. Ryhiner erzählt mit dem Aufstieg und Fall des Johann Jakob Ryhiner auch ein Stück bislang geleugneter Familiengeschichte.
Es sind unruhige Zeiten, in die der Autor den Leser/ die Leserin mitnimmt. Napoleon hat die Ordnung der Alten Eidgenossenschaft umgekrempelt, die Menschen träumen von Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit. Die Trias gilt freilich nicht für Millionen von Menschen, die, auf Schiffen zusammengepfercht, von Afrika in die Kolonien verschleppt und dort versklavt werden. Mit seinem Roman reiht sich Nicolas Ryhiner in die wachsende Zahl der SchriftstellerInnen und HistorikerInnen ein, die sich mit der Rolle der Eidgenossen im Sklavenhandel auseinandersetzt. Zwar wetteiferte die Eidgenossenschaft nie mit imperialen Mächten um einen Platz an der Sonne, dennoch bereicherten sich viele Menschen am kolonialen, auf Sklavenarbeit fussenden Handel. Da gab es die Sarasins in Basel, die Volkart in Winterthur, um nur zwei zu nennen. Kolonialismus könnte man seit einigen Jahren als Trendthema bezeichnen, das im historischen Diskurs der Schweiz neue Perspektiven eröffnet hat. https://www.cooperaxion.org/schweiz/
Flucht aus dem „Daig“
Nicolas Ryhiner flicht wenige historische Eckdaten über seinen Vorfahr Johann Rudolf Ryhiner (1784-1824) zu einem packend erzählten Roman zusammen, in dem ein junger Mann an den Widersprüchen seiner Zeit zerbricht. Johann Jakob wächst in einer betuchten Basler Apothekerfamilie auf, flieht aber aus dem kalten und bigotten Basel ins südamerikanische Surinam, auf eine Plantage in Familienbesitz. Er stellt sich dem Widerspruch zwischen der freimaurerischen Basler Familie, die Sklaverei ganz im Geist der Zeit ablehnt, aber dennoch einen Prachtsbau errichten lässt, nota bene mit dem Gewinn aus den familieneigenen Plantagen. «Surinam» heisst das Anwesen, das bis heute in Basel einem Ort seinen Namen gibt.
Im Dschungel der Widersprüche
In Surinam wird aus Johan Rudolf ein anderer Mensch – die Widersprüche seiner Zeit kann er nicht auflösen. So schwängert er eine Sklavin, die er aber nicht freikaufen kann. Er nimmt der Mutter das Kind weg, um es aber «anständig» grosszuziehen. Hier steigt er durch sein Engagement im lukrativen Dreieckshandel zwischen Amerika, Europa und Afrika in die besten Kreise auf. Statt Afrikaner zu versklaven, heuert er sie an, dennoch spricht er von ihnen als Ware und Stückzahl. Er treibt sich im Dschungel umher und entgeht nur knapp dem Tod durch einen Spinnenbiss. Das tropische Surinam ist ein Sehnsuchtsort, «hier im Busch ist alles möglich», der seinen Zauber aber durch die Ankunft und Nähe verliert.
In Surinam ehelicht er auch eine Mestizin, mit der er Kinder hat und vor der er sich schändlich davonstiehlt, um nach Basel zurückzukehren. Seine Gattin hält er hin, er schreibt Briefe mit fingierten Reiseberichten und in denen er seine Rückkehr immer wieder verspricht. Raffiniert nutzt er seine Beziehungen, um die Absenderadresse zu verschleiern. In Basel heirate er eine Pauline Streckeisen, mit der er eine Familie gründet. Niemand weiss in Basel von seinen schwarzen Kindern. Vorerst. Sein Doppelleben kann er aber nicht auf ewig verbergen – es droht ein Prozess wegen Bigamie. Er zieht die Konsequenzen. Anders als im Busch ist in Basel eben nicht alles möglich.
Nicolas Ryhiner erzählt das Leben des rebellischen und scheiternden Johann Rudolf als Rückblende und in Form eines Berichts ausgerechnet an einen Domestiken. Johann Rudolf kann den Hänsler, wie sein Diener heisst, nur demütigen, treten und kujonieren, dennoch ist der Diener die letzte Person, der sich der Gescheiterte vor seinem Tod anvertrauen kann.
Gleichzeitig gelingt dem Autor ein farbiges Sittengemälde Basels, in dem der Wohlstand wenig wohlanständig verdient wird. Ein unterhaltender Roman, der aber profund recherchiert ist und der ein noch wenig ausgeleuchtetes Kapitel Schweizer Geschichte zu erhellen vermag.
Nicolas Ryhiner, Im Surinam, Zytglogge Verlag 2019. 262 S. Geb. ca. 35 SFr. Vorsicht: Exemplare mit fehlerhafter Paginierung im Umlauf. Seitenzahlen kontrollieren!
Der Dreieckshandel
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