Unrecht gebiert seine Monster

Gnadenlos  – Samirs „Baghdad in My Shadow“

Bildquelle und Video: https://www.dvfilm.ch/de/movies/fiction/baghdad-in-my-shadow

Es ist eine verschworene Gemeinschaft von Exil-Irakern, die sich da im Kafee Abu Nawas, irgendwo im verregneten London begegnet. Geführt wird der Treffpunkt von zwei etwas angejahrten kurdischen  Altkommunisten, die der Diktatur unter Saddam Hussein entrinnen konnten. Stammkunde ist Dichter Taufiq, der vom Leben und schwerer Folter gezeichnet ist. Dann verzaubert Amal das Lokal, die Tellerwäscherin, die in ihrer Heimat vor einer glänzenden Karriere als Architektin stand. Der schwule IT-Spezialist Muhanad bringt die Informatik im Laden zum Laufen und den Sohn des Ladenbesitzers ins Schmachten.

So weit so politisch korrekt, doch der Flüchtlingsfilm, der am Locarno Filmestival 2019 viel Aufmerksamkeit fand,  entwickelt sich zum temporeichen Thriller, an dessen Ende einstige Opfer zu Tätern werden und keiner der Protagonisten mehr ist, der er oder sie vorgab, zu sein.

Da ist Amal, die nicht etwa vor der politischen Repression aus Baghdad geflohen ist, sondern vor der Gewalt ihres Ehemannes. Der Regisseur Samir bricht hier mit einem Tabu – nicht nur politische Systeme und Diktatoren begehen Unrecht, auch grosse Teile der Bevölkerung begehen Verbrechen, im Amals Fall der Mann, der die Selbstbestimmung der Frau beschneidet. Auch Muhanad wird nicht von Folterknechten oder einem Regime vertrieben, der Homosexuelle muss in einer radikal-homophoben Gesellschaft um sein Leben fürchten. Täter, man merkt, sind nicht immer nur Diktatoren und ihre Schergen. Nur Taufiq scheint ins Klischee des «richtigen» politischen Flüchtlings zu passen – er jedoch hat unter der Folter einen schrecklichen Verrat begangen, um sein Leben zu retten und ins Ausland zu kommen. Sein Einknicken kostete zwei Menschen das Leben. So bricht auch er ein Klischee, weil er nicht auf die Rolle des Opfers reduziert werden kann. So hat jeder eine dunkle Seite, Baghdad und sein Unrechtsregime verfolgen das Leben aller – wie ein Schatten.

Der Film nimmt Fahrt auf, als im vermeintlich sicheren Asylland Grossbritannien ein islamistischer Hassprediger junge Iraki gegen ihre Eltern aufwiegelt und so in der Exilgemeinde dieselbe Atmosphäre des Terrors und der Gewalt schafft, der er selber entflohen ist. Ausserdem taucht Amirs Ex-Mann auf und die Exilgemeinde gerät durch ihn ihn grösste Gefahr. So gebiert der Schlaf der Humanität immer weitere Monster.

Regisseur Samir ist ein spannender Krimi gelungen, der die Flüchtlingsthematik auf eine erfrischend hintersinnige Art verarbeitet, aber sämtliche liebgewonnenen Klischees zertrümmert. Ein Muss für alle Kinofans!

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