Annette von Droste Hülshoff tut, was eine junge Frau von Stand in ihrer Zeit nicht tun soll. Sie ist frech, scharfzüngig, geht mit dem Hammer im Steinbruch auf Sammeltour, kann besser dichten als ihre Entourage und verliebt sich in einen Bürgerlichen. Mit „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, legt die deutsche Autorin Karen Duve (Taxi) einen historischen Roman der Extra-Klasse vor, gut recherchiert, witzig und spannend zu lesen.
Auf über 500 Seiten breitet sie ein Panorama der zerrissenen Gesellschaft der Romantik aus.
Wir gehen mit rebellischen Studenten auf Sauftour in Göttingen, reisen durch den Matsch eines verregneten Sommers nach Kassel, besuchen dort die Brüder Grimm und sind zu Gast in den verschiedenen Schlössern der weitläufigen Verwandtschaft der Droste.
Der Mann, der das Herz der Dichterin entflammt, Heinrich Straube, ist ein armer Schlucker und wird von ihrem Onkel August von Haxthausen als kommendes Genie und neuer Goethe gerühmt und finanziert. Mit Armut geschlagen, lässt er es auch an Schönheit missen: Klein, schmächtig, mit einem dünnen Stimmchen, das ihm den Spitznamen „Wimmer“ einträgt, kleidet ihr sich in einen schmuddeligen Wollmantel einen „Flaus“, den er nie auszieht. Doch Straube ist ein äusserst liebenswerter Mensch, scherzt und lacht und interessiert sich für Annettes Dichtkunst.
Doch die Liebe währt nur kurz. Eine solche Verbindung darf nicht sein und Drostes Familie intrigiert.
Der Roman ist nicht nur ein gelungenes Sittenbild, eine Dichterbiographie, sondern auch das Portrait eines ungewöhnlichen, liebenswerten, feinfühligen Mannes.
Karen Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer, Galiani, Berlin 2018
Rezension von Sylvia Oehninger